Der Wächter von Netelenhorst

Hier haben wir jetzt die nächste Kurzgeschichte, die uns Jan de Schwoon präsentiert. Auch für das großartige Titelbild zeichnet er verantwortlich. Viel Vergnügen beim Lesen.

der wächter vom netelenhorst

Der Wächter vom Netelenhorst
– Im Schatten des schwarzen Todes –

Eine schwere Zeit ist für die Menschen in den Niederrheinlanden angebrochen, denn nach einem dreißig Jahre lang dauernden Krieg mit Zerstörung und Plünderungen ist die Pest, auch hier ausgebrochen.

Abertausende Bewohner wurden Opfer des Krieges und nun wurden sie auch noch durch den schwarzen Tod dahin gerafft. Viele Menschen sind ohne ihr Hab und Gut auf der Flucht, um ihr nacktes Leben zu retten. Flüsse und Seen in der Düffelt sind durch die vielen Leichen und Tierkadaver verseucht. Das Wasser aus vielen Brunnen, dem Groesbecker Bach und des Wylermeeres ist schon lange nicht mehr trinkbar. Die Stadt Cranenburg hat seit einiger Zeit ihre Stadttore geschlossen und verriegelt, so das keiner mehr hinein oder heraus kann. Es herrscht große Not und Verzweiflung in der ganzen Region.

Die Quelle der Renne in Nütterden ist die Einzige weit und breit, die noch genießbares Trinkwasser führt und bisher von der Seuche verschont geblieben war. Es hat sich eine kleine Bürgerwehr von den noch verbliebenen Nütteranern gebildet, um die Quelle zu schützen. Als sich eines Tages drei vagabundierende Söldner mit finsteren Mienen der Quelle nähern, wurde es unruhig an der Quelle. Die drei sahen aus als würden sie auch Gewalt anwenden, um an sauberes Wasser zu kommen. Jan der Fischersohn aus Nütterden sitzt in der Nähe seines Hauses am Quellteich der Renne und beobachtet das Geschehen. Er hatte mit seinen mystischen Fähigkeiten einen unsichtbaren Schutzwall um die Quelle geschaffen, so das die Söldner keine Chance haben bis zur Quelle vor zu dringen.

„Haltet ein“ rief Jan den Fremden zu „füllt eure Flaschen und zieht weiter.“ Die Söldner hörten nicht auf Jan und prallten wie vom Blitz getroffen gegen die unsichtbare Schutzwand, die Jan geschaffen hatte. Als sie sich wieder erschreckt aufrappelten, wollten sie erneut die Quelle stürmen, aber wiederum wurden sie von unsichtbaren Mächten abgehalten und in die Luft geschleudert. Dabei verletzten sie sich gegenseitig mit Ihren Schwertern so schwer, dass sie tödlich getroffen zu Boden vielen.

„Ich werde mich nach Cleve aufmachen, um eine medizinische Abhandlung, die richtig angewandt, dem schwarzen Tod ein Ende bereiten wird zu holen“ wandte sich Jan an die erschreckte Bürgerwehr aus Nütterden. „Haltet Wache hier, dann wird euch nichts geschehen. Ich werde so schnell wie möglich Hilfe holen und nach Nütterden zurückkehren.“

Jan kannte im Franziskaner-Kloster zu Cleve den alten Mönch Sebastian, der ein kostbares Schriftstück von der letzten großen Pestepidemie aus dem 14. Jahrhundert aufbewahrte. Dieses Schriftstück wollte Jan holen um den Menschen in der ganzen Region zu helfen. Lebte der Mönch noch? War er noch im Besitz der medizinischen Abhandlung, die gegen die schreckliche Seuche wirksam war? Kam Jan überhaupt in die Stadt Cleve hinein? Viele Fragen gingen Jan durch den Kopf.

Um möglichst schnell nach Cleve zu gelangen, rief er den Fuhrmann Jupp mit seinen Pferd Mirka von der Wolfsbergstraße zu Hilfe. Zusammen machten die alten Freunde sich auf den Weg nach Cleve. Überall am Wegesrand lagen Leichen, die zum Teil von herum streunenden Tieren zerrissen wurden. In Donsbrüggen, bei dem Gasthaus Koekkoek, kam ihnen ein Zug von Geisslern entgegen. Diese merkwürdigen Gesellen versuchen durch Selbstbestrafung, Gott gnädig zu stimmen, um so der tödlichen Seuche zu entgehen. Sie kommen von Cleve und ihr Ziel ist die Walfahrtskirche in Cranenburg. Jupp führte den Wagen mit seiner Mirka zügig mit schnalzender Zunge an dem unwirklichen Anblick vorbei. In Höhe des Gnaden-Tals, waren die St. Augustinus Mönche dabei von der Pest befallende Menschen zu pflegen, so gut sie es mit ihren einfachen Mitteln nur konnten. Jan erkannte sofort, dass alle dem Tode geweiht waren und trieb seinen Freund Jupp zur Eile an.

Vor den Stadtmauern von Cleve angekommen, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Hunderte von Menschen, aus der gesamten Umgebung, lagen vor der Stadt. Große Stapel von toten Leibern wurden errichtet um sie schnell zu verbrennen. Ein beißender, unerträglicher Gestank machte sich breit. Schreiende menschliche Wesen, mit hässlich entstellenden, schwarzen Beulen am ganzen Körper, flehten um Hilfe. Einige wenige Bader, die sich trotz der tödlichen Ansteckungsgefahr eingefunden hatten, weil sie den leidenden Menschen auch noch die letzte Habe abknöpfen wollten, hatten begonnen die eiternden Geschwulze aufzuschneiden. Die Gefahr einer schnelleren Verbreitung der Seuche wurde durch ihr unwissendes Tun nur noch verstärkt. Jan erkannte das schnell und schickte seinen Freund Jupp mit seiner Mirka sofort zurück nach Nütterden, damit er sich nicht auch noch mit der tödlichen Krankheit ansteckte. Jan selbst konnte durch seine mystischen Fähigkeiten nichts geschehen, er war gegen alle Krankheiten immun.

Wie aber kam Jan nun in die Stadt Cleve. Alle Tore waren hier, wie schon die Tore in Cranenburg, verrammelt und verriegelt worden, damit sich die tödliche Seuche nicht noch stärker in der Stadt ausbreiten konnte. Jan konzentrierte sich einen Moment auf seine übernatürlichen, mystischen Fähigkeiten, als er sich des Junkers Alexander aus Donsbrüggen besann, den er schon bei früheren Aktionen kennen und schätzen gelernt hatte. Dieser Junker hatte vor einiger Zeit, so wusste Jan, die Turmwächter von Cleve zu beaufsichtigen. Mit Ihm versuchte Jan auf einer höheren, geistigen Ebene in Kontakt zu kommen und hoffte so, mit Alexanders Hilfe. in die Stadt und in das Minoritenkloster zu gelangen.

Plötzlich, wie von einer höheren Macht gesteuert, lief Jan ohne auf das weitere Geschehen um ihn herum zu achten, in Richtung Kermisdahlufer. Hier stand der Stadtturm Netelenhorst in der Stadtmauer, von hier aus wurde die Stadt gegen ungebetene Eindringlinge bewacht. Rechts von dem Turm war ein kleines Tor in der Stadtmauer, das sich nur für Jan sichtbar einen kleinen Spalt öffnete. Unbemerkt konnte Jan durch die Türe in den Klostergarten eintreten. Noch ehe er sich versah war die Türe wieder verschlossen und Junker Alexander stürmte auf Jan zu und umarmte den Freund herzlich. Alexander sah kränklich und erschöpft aus, da viele Turmwächter auch an der Seuche erkrankt waren, musste er mit nur wenigen Männern die Stadt schützen und auf den Stadttürmen rund um die Uhr Wache halten. Dennoch freuten sich die Beiden auf das Wiedersehen. Jan erklärte dem Junker seine Mission, der ihn sofort durch den großen „Monnikenbongert“ zum Kloster führte, bevor er sich wieder schnell auf seinen Wachposten auf dem Metelenhorst zurück begab. Nicht ohne vorherige Verabredung mit Jan, sich so bald wie möglich zu treffen, um von ihren Erlebnissen zu berichten.

Als Jan die Klosterpforte betrat sah er, dass das Kloster ebenfalls mit Kranken überfüllt war, die von den Mönchen gepflegt und versorgt wurden. Auch hier im Kloster machte sich ein süßlicher Verwesungsgeruch breit. Die Minoriten waren von Almosen der Bürger in Cleve abhängig, daher mussten sie akzeptieren, dass sowohl einige Klosterräume als auch ihr riesiger Klostergarten immer wieder für städtische Bedürfnisse genutzt wurden.

Mitten in dem hektischen Treiben traf Jan auf den alten Mönch Sebastian. Der alte Mönch saß zusammengekauert in einer Ecke des Chorgestühls und schien zu schlafen. Als Jan näher trat um mit ihm zu sprechen, öffnete Sebastian mühselig die dunkel umrandeten Augen und stammelte unverständliche Worte. Sein langes, schneeweißes Haar quoll unter der Kapuze der dunklen Kutte hervor, als Jan in das zerfurchte, sterbende Gesicht des Mönches sah. Jan holte eine kleine Flasche mit reinem Renneken-Quellwasser aus Nütterden unter seinem Rock hervor und träufelte dem Alten ein paar Tropfen davon auf die trockenen, rissigen Lippen. Immer wieder verlor der alte Mönch das Bewusstsein.

Sollte Jan zu spät gekommen sein? Waren die wichtigen Unterlagen zur Pestbekämpfung für immer verloren?

Immer wieder flößte Jan dem Sterbenden vorsichtig Rennekenwasser in den ausgetrockneten Mund. Und siehe da, mit seinen letzten Kräften schob Sebastian seine dünnen, grauen Hände unter Kutte hervor, in denen er eine Rolle mit alten Schriften hielt. Er übergab diese Rolle mit zitternden Händen an Jan mit den leisen Worten; „gehe hin und tue Gutes“ und fügte kaum hörbar hinzu „so wahr dir Gott helfe“, dann sackte der alte Mönch in sich zusammen und ging den Weg allen Irdischen. Jan war zuerst erschrocken über den Tod des alten Weggefährten, versteckte dann aber die wichtigen Schriftrollen in seinem Gewandt.

Schnell suchte er den Abt des Klosters auf um diesen über den Tot von Sebastian und die geheime Schrift zu unterrichten. Gleichzeitig bittet Jan den Abt, ihn bei der Durchführung zur Bekämpfung der Seuche zu helfen. Als hätte der Abt auf die Aufforderung von Jan gewartet, stellte er sofort eine Gruppe von gelehrten Mönchen und weltlichen Laien zusammen die über Stadt und Land ziehen sollen, um die Lehre der Seuchenbekämpfung, wie sie in den alten Schriftrollen beschrieben war, zu vermitteln. Endlich wurde ein Mittel für alle Menschen bekannt gemacht, wie die schreckliche Pest überwunden werden konnte. Es sollte allerdings noch Jahre dauern bis die letzten Spuren der Katastrophe aus dem Leben der Menschen verschwunden waren.

Jan hatte wieder einmal seine Mission erfüllt und kehrte zufrieden in sein Fischerhaus nach Nütterden zurück. Auch hier in Nütterden normalisierten sich die Verhältnisse Dank Jan’s unermüdlichen Einsatzes wieder.